Biographie von Franz Xaver Kerschensteiner
Zitherbauer Franz Xaver Kerschensteiner, Regensburg, Bayern (1839 - 1915)
F.X. Kerschensteiner, der sich im 19. Jahrhundert auch als Geigenbauer einen Namen gemacht hatte, experimentierte im Jahre 1880 mit einer verbesserten Zitherkonstruktion und spezialisierte sich schließlich auf den Bau sog. Arionzithern. Diese Zithern fertigte er speziell mit einem Klavier-Resonanzboden und einem Saitensteg, welcher die Schwingungen der Saiten direkt auf den Resonanzboden überträgt. Dadurch wird ein kürzerer und kräftigerer Ton erzeugt als in herkömmlicher Bauweise. In der Werkstatt von Kerschensteiner wurden nachweislich über 5.000 Zither gebaut. Kerschensteiner-Zithern zählen heute zu den Raritäten und sind vor allem unter Volksmusikanten heiß begehrt!
Franz Xaver Kerschensteiner wurde am 7. Mai 1839 in Parsberg in der Oberpfalz geboren. Nach dem Besuch der Volks- und der Lateinschule im Königlichen Studien- und Musikseminar zu St. Emmeram, Regensburg, trat er im Alter von 16 Jahren bei dem bekannten Geigenbauer Petrus Schulz in Regensburg (1808 - 1871) in die Lehre. Wie Freiherr von Lütgendorff in seinem Buch über die Geigen- und Lautenmacher berichtet, war Petrus Schulz "nicht nur von Haus aus reich begabt, sondern auch von peinlichster Sorgfalt und hatte auf der Wanderschaft, die ihn ... [bis] nach Holland führte, jede Gelegenheit benutzt, sich allseitig zu vervollkommnen". 1834 übernahm er von seinem Lehrmeister Joseph Fischer dessen seit 1790 bestehende Instrumentenbau-Werkstatt in Regensburg.
Kerschensteiner ging bei Schulz vier Jahre in die Lehre und anschließend, wie damals üblich auf Wanderschaft. Er arbeitete u.a. bei Tiefenbrunner und Echinger in München, bei Strotzinger in Linz, bei Bittner in Wien und bei Meindl in Würzburg. 1865 nach Regensburg zurückgekehrt, trat er als Teilhaber in das Geschäft seines ehemaligen Lehrmeisters Petrus Schulz ein und heiratete dessen Tochter Euphrosina. Dem am 18. Juli 1865 beim Magistrat der Stadt Regensburg gestellten Gesuch um "Aufnahme als Schutzverwandter sowie um die Bewilligung zur Verehelichung mit der Bürger- und Instrumentenbauerstochter Euphrosina Schulz" wurde am 01. August 1865 entsprochen. Das Bürgerrecht wurde ihm am 4. März 1870 zuerkannt. Bis 1872 wirkten Schulz und Kerschensteiner gemeinsam im Unternehmen; nach dem Ableben von Schulz führte F.X. Kerschensteiner dann den Betrieb in der Pfarrgasse 10 in Regensburg alleine fort. Hergestellt wurden Geigen, Violen, Celli, Zithern, Gitarren und Bassgitarren sowie Zithersaiten. Ob „einfach“ oder „künstlerisch hochwertig“ – die hergestellten Instrumente wurden stets mit größter Sorgfalt gefertigt. Einzelne, mit wundervollsten Einlegearbeiten verzierte Zithern sind echte Prachtexemplare und zählen bis heute zu den schönsten Instrumenten im Zitherbau!
Für seine „Zither-Neukonstruktion“ wurde Kerschensteiner am 21.09.1883 das Patent Nr. 24075 beim Kaiserlichen Patentamt auf die Konstruktion einer Konzertzither erteilt. In seinem Instrumentenkatalog sind diese Zithern als "Konzertzithern nach einem älteren Patent" bezeichnet. Anstoß für den Bau einer verbesserten Zither war wohl der Aufsatz "Die Zither der Zukunft" durch den Londoner Zithervirtuosen Curt Schulz im "Centralblatt deutscher Zithervereine" im Jahr 1879, in welchem eine technische Verbesserung der Zither durch die Instrumentenbauer, damit die bisher zu schwache Zither mehr Kraft und Lautstärke erhalte und damit auch öffentlich und zusammen mit anderen Instrumenten in Erscheinung treten könne, gefordert wurde.
Die Arionform der Zither, auf die sich Kerschensteiner nun festlegte, erlaubte schon Konstruktionsbedingt eine hörbare Verbesserung bei der Lautstärke. Kerschensteiner selbst schreibt hierzu 1898 in seiner Preisliste: "Wie schon so vieles Neue und Gute aus der neuen Welt zu uns herübergekommen ist, so entstand dort auch die erste verbesserte Zither mit rundem Korpus und einem an der Decke angebrachtem Saitensteg: eigentlich nur eine Nachahmung und Verbesserung der alten doppelbauchigen Zither, wie sie in den ersten Decennien dieses Jahrhunderts in Oberbaiern und München sehr häufig angefertigt wurde." Mit der "neuen Welt" bezieht sich Kerschensteiner vermutlich auf seinen Berufskollegen Franz Schwarzer in Missouri, USA, mit welchem er 1873 bei der Weltausstellung in Wien zusammentraf. Weiter führt er aus "... mit rundem Korpus, bei welchem die Schwingungen der Saiten direkt auf die Decke übertragen werden, wodurch ein gleichmäßigerer und kräftigerer Ton erzeugt wird, als bei den Zithern herkömmlicher Konstruktion. Dass aber auch eine, wegen des sehr bedeutenden Zuges der Saiten durch starke Verspreitzung versteifte Decke nicht so klingen kann, als ein von Zug und Druck der Saiten fast vollständig befreiter Resonanzboden, wie er nach eigener Erfindung bei meinen Arion- und Harfenzithern zur Anwendung kommt, liegt in der Natur der Sache."
Vermutlich auf Anregung von Schulz in London, entwickelte Kerschensteiner dann in den Jahren 1883 bis 1887 in Anlehnung an den Klavierbau jene bekannte Zitherform, welche auch heute noch in Zitherspieler-Kreisen so geschätzt wird. Kerschensteiner beschreibt seine Eigenentwicklung wie folgt: "Nach vieler Mühe und vielen Versuchen ist es mir gelungen, eine direkte Tonerzeugung bei diesen Zithern dadurch herzustellen, dass ich einen freistehenden Saitensteg in Verbindung mit dem Resonanzboden brachte, welch’ letzterer dem Klaviere nachgebildet ist. .... Die Schwingungen der angeschlagenen Saiten werden durch einen Saitensteg, welcher durch die Decke gehend, ohne diesen zu berühren, auf den eigentlichen Resonanzboden direkt übergetragen, wodurch dieser in größtmöglichste Vibration versetzt wird. Dadurch wird ein bestimmter, klarer Ton erzeugt, welcher in allen Lagen gleiche Stärke und Tonfärbung besitzt, wie er nur ganz vollkommenen Instrumenten eigen ist."
Diese Konstruktion verbindet den Grundgedanken des Patentanspruchs von 1883 der freieren Schwingung mit der Forderung von Schulz. Das Patent von 1883 wurde aber nur auf eine Konzertzither, und nicht wie oft fälschlicher Weise angenommen, auf eine Arionzither oder Klavierbodenzither beantragt und erteilt. Ein Patent auf die Bauform mit dem Klavierboden ist nicht bekannt. In den USA gilt Franz Schwarzer als Erfinder des Klavierbodens. Zwar sind Parallen zu den Kerschensteiner-Instrumenten unverkennbar, jedoch Arionzithern mit Klavierboden von Franz Schwarzer sind erst ab 1891 nachzuweisen.
Aufgrund des zweiten, erhalten gebliebenen "Bestellbuch für Zithern", in welchem Bestellungen und Details der gefertigten Zithern in der Zeit von 1907 bis 1951 niedergeschrieben sind, kann man sowohl Art und Güte, Stückzahl und die Besteller des Instruments herleiten. So wurden z.B. in den Jahren von 1908 bis 1914 jährlich 100 bis 110 Zithern fertiggestellt. Im Zeitraum bis 1907, für den leider keine Unterlagen mehr vorliegen, müssen jedoch gemäß Nummerierung jährlich ca. 200 Zithern gefertigt worden sein. Die Instrumente wurden vor allem nach Deutschland und ganz Europa, aber auch in die USA, nach Südamerika sowie nach Australien geliefert.
Kerschensteiner erhielt als Instrumentenbauer viele Auszeichnungen und durfte sich "Kgl. Bayer. Hoflieferant" nennen. Lütgendorff berichtet: "In Kerschensteiner erreichte der Geigenbau in Regensburg seine schönste Entwicklung, und Kerschensteiners Geigen, die weit und breit und selbst in England hoch bewertet werden, sind im wahren Sinn des Wortes Kunstwerke. Nicht minder hoch sind seine Zithern geschätzt, die ihm mit Preisen bezahlt werden wie kaum einem zweiten." Auch in seinem bürgerlichen Leben wurden ihm zahlreiche Ehren zuteil. So war er viele Jahre lang Stadtverordneter, Magistratsrat und Abgeordneter der Stadt Regensburg im oberpfälzischen Landrate. F. X. Kerschensteiner starb am 22. Dezember 1915
Zur weiteren Geschichte der Fa. Xaver Kerschensteiner
Der Sohn Franz Seraph Peter Kerschensteiner, geboren am 09. November 1869 in Regensburg, der mind. seit 1908 Mitinhaber des väterlichen Geschäfts war, führte die Werkstatt nach dem Tode des Vaters weiter, konnte jedoch an die früheren Verkaufserfolge nicht mehr anknüpfen, was m. E. vorwiegend auf den verlorenen ersten Weltkrieg und die anschließende weltweit-einsetzende gesellschaftliche Ächtung des Deutschen Reiches zurückzuführen sein dürfte. Weltwirtschafts- und Währungskrise sowie eine Erstarkung der Konkurrenten im Zitherbau und ein geändertes Nachfrageverhalten dürften zudem zu weiteren Beeinträchtigungen beim Absatz geführt haben. Ab dem Jahre 1921 lag die Anzahl der Bestellungen nur noch bei 9 bis 19 Zithern pro Jahr. Nach dem Tod von Franz Kerschensteiner am 02.02.1935 in Berlin wurde die Werkstatt am 01.04.1935 von der Regensburger Schreinerei und Musikalienfirma Konrad Weidlich übernommen. Ein Teil der Werkstatteinrichtung wurde dem Regensburger Stadtmuseum überlassen und befindet sich seitdem im dortigen Depot. Nach 1938 wurden kaum noch Arion-Zithern bestellt, obwohl noch lieferbar. Die Firma Weidlich selbst bestand bis ca. 1990 als Musikgeschäft.
Kerschensteiner Zithern werden heute wieder sehr geschätzt und auch u.a. durch den Zitherbauer Reinhard Herrmann neu gefertigt. Die Renaissance der Kerschensteiner-Klavierboden-Zithern ist wohl auf die Wegscheider Musikanten, insbesondere auf Hans Kraus und Josef Riesch, welche in den Jahren 1929 und 1930 eine Zither erworben hatten und in den 1970er Jahren dann sehr bekannt wurden, zu verdanken. Aber auch Roman Messerer und einigen namhaften Volksmusikanten gebührt Dank und Anerkennung, dass der Name „Kerschensteiner“ heute wieder ein Begriff ist. Kerschensteiner‘s Leistung als Zitherkonstrukteur, die Entwicklung und Vervollkommnung eines äußerlich meist schlichten, technisch aber modernen Instruments, ist auch nach über 110 Jahren noch aktuell.
Quellen:
Franz Emmerig, Gartenstraße 11a, 85665 Moosach
Raimund Sterl: Regensburger Musikinstrumentenbauer von der Mitte des 15. Jahrhunderts bis zur Neuzeit. In: Verhandlungen des HistorischenVereins für Oberpfalz und Regensburg, Bd. 113, S. 145 - 160, S. 155 f.
Willibald Leo Freiherr von Lütgendorff: Die Geigen- und Lautenmacher vom Mittelalter bis zur Gegenwart. 2., verbesserte und vermehrte Auflage, Frankfurt/Main 1913, Bd. I, S. 161 und Bd. II, S. 421 f., und Ergänzungsband, erstellt von Thomas Drescher, Tutzing 1990, S. 310
Bestellbuch für Zithern (Privatbesitz) 1907 - 1951
Weitere Informationen im Internet:
- Franz Xaver Kerschensteiner Zithern
- Kerschensteiner Zithern Nummernliste
- Kerschensteiner Spezialkatalog für Zithern. Historischer Zither Katalog von X. Kerschsteiner aus dem Jahre 1908
Hochburg-Ach, 16.01.2014
Gez. Christoph Schwarzer